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Thema: Türchen Nummer 23 Mo Dez 23, 2013 6:01 pm
Hi ihr da draußen. Wieder ein neuer Tag, wieder ein neues Türchen. Eine süße Geschichte von Jack- ist total süß geworden.
^^':
Weihnachten ist ein besonderer Tag, auf den sich viele freuen, nicht wahr? Ich habe mich auch immer gefreut. Die Lichter, die glücklichen Gesichter, der Duft von Räucherstäbchen und viele weitere schöne Dinge verbinde ich mit diesem Fest. Doch jedes Jahr passierte etwas besonderes. Einmal, erinnere ich mich, kam ich als Kind ins Weihnachtszimmer und der Tannenbaum war stellenweise verkohlt, weil er angefackelt war. Im darauffolgenden Jahr stolperte der Weihnachtsmann, der sich darauf als Nachbar Gerhard entpuppte, über die Keksdose. Auch, als ich älter wurde und später sogar auszog erlebte ich nie eine normale Weihnacht. Bei einer gab es damals sogar einen Bombenalarm und wir, ich und meine Familie, feierten auf dem steinigen Boden in einer benachbarten Kirche. Und an einem Fest, wo alles glatt zu laufen schien, fiel mein Freund von der Leiter und brach das Bein, dann saß ich um Mitternacht an seinem Bett im Krankenhaus. Aber die absonderlichste Weihnacht erlebte ich nicht in der Kirche oder im Krankenhaus und auch nicht mit meiner Familie oder meinem Freund, sondern im Park in Gesellschaft eines kleinen Jungens, doch lass mich diese Geschichte von Anfang an erzählen …
Ich weiß noch, dass es eine bitterkalte Nacht war. Es schneite sogar zwischendurch. Ich hatte damals geplant, zum ersten Mal einfach allein zu feiern und keine besonderen Zwischenfälle erleben zu müssen. Um es zuzugeben, auch mein Freund hatte sich Mitte Dezember von mir getrennt, ich war also nicht wirklich scharf darauf, unter vielen Leuten zu sein. Dieses Jahr hatte ich keinen Tannenbaum besorgt, mir persönlich genügten ein paar Zweige. Ich breitete also die Geschenke auf einer hübschen Decke aus, zündete Kerzen an und genoss die besinnliche Atmosphäre. Wie ich auf die Idee kam, einen Weihnachtsspaziergang zu machen, weiß ich nicht mehr, aber ich verließ meine kleine Studentenwohnung dick eingepackt. Wahrscheinlich lag es daran, dass seit Jahren endlich mal wieder Schnee an diesem besonderen Tag lag. Aus Nostalgie nahm ich sogar eine Packung Wunderkerzen mit. Ich ging keinen bestimmten Weg, ließ mich von meinen Beinen durch die Straßen der Kleinstadt führen. In vielen Häusern brannte Licht, ich weiß noch, dass mich jedes gelbe Kerzenlicht, was aus einem der Fenster schien, glücklich machte. Mein Verstand stellte sich lachende Kinder vor, die sich über ihre Holzeisenbahn oder eine Puppe freuten und Eltern, die mit lächelnden Gesichtern die krummen, selbst gebastelten Sterne oder Bilder in Empfang nahmen. Nicht, dass meine Kindheit schlecht gewesen wäre, doch in meiner fröhlichen Stimmung erfreute ich mich einfach dem Gedanken, dass es solche Weihnachten vielleicht wirklich gab, hinter jeder Tür, hinter jedem erleuchteten Fenster. Meine knirschenden Schritte führten mich damals unbewusst in den Park. In meiner Erinnerung glitzerten die schneebedeckten Bäume und alles sah aus wie aus Zuckerwatte. In Wahrheit war es wahrscheinlich eher matschbrauner Schnee. Ich jedenfalls wanderte durch den Park und genoss die eisige Luft und die scheinbar absolute Stille. Seltsam, dass ich trotzdem die kleine Gestalt, meine besondere Begegnung, bemerkte. Auf einer der Parkbänke saß sie da, beleuchtet von dem schwachen Licht einer flackernden Laterne. Zuerst dachte ich, es sein ein Obdachloser, der sich auf der Bank zusammengekauert hatte, doch der Körper war nicht größer als der eines Kindes. Zögernd kam ich näher. Und, wenn meine Erinnerung bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht etwas lückenhaft ist, bin ich mir ab hier absolut sicher. Die Gestalt hob den Kopf und ich blickte ich große, hellblaue Augen auf einer Haut, die fast so weiß war wie der unberührte Schnee auf den Bäumen. Ebenso helle, kurze Locken rahmten das Kindergesicht ein. Doch nicht nur der verängstigte wie auch neugierige Blick des kleinen Jungen fesselte mich. Mein Blick glitt über seine Kleidung. Sie bestand nur aus dünnen Kleiderfetzen, hier und da etwas Pelz, die Arme, fest an den Körper gepresst, schutzlos der Kälte ausgesetzt. „Frierst du?“, fragte ich sanft. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und er schien unglaublich scheu. Er schüttelte den Kopf und biss wortlos die Lippen zusammen. Ich hockte mich hin, um mit ihm auf einer Augenhöhe zu sein. „Du siehst aber nicht so aus“, versuchte ich es mit einem Lächeln. Wer war dieser Junge, wo waren seine Eltern? War er von zuhause abgehauen? Fragte ich mich selbst damals, aber ich handelte akut. Mit zwei schnellen Bewegungen zog ich meine dicke und warme wie teure Winterjacke aus. „Hier.“ Hielt ich sie ihm hin. Einen Moment lang kniff er trotzig die Augen zusammen. „Wenn du dich nicht beeilst, wird sie wieder kalt.“ Seltsamerweise schienen diese Worte den letzten Widerstand in Anbetracht dieser warmen Verlockung zu brechen. Der Junge stürzte sich schon fast in die Jacke und ich half ihm, sie zuzumachen. Ein Glück, dass sie sowohl Knöpfe als auch Reißverschluss hatte, denn letzteres hatte er scheinbar noch nie gesehen. Natürlich war die Jacke dem kleinen Kerl viel zu groß, er versank fast darin, doch sofort breitete sich eine wohlige Röte auf seinen Wangen aus. Ich selbst hätte jetzt trotz meines dicken Pullovers wahrscheinlich auch anfangen müssen zu frieren, aber an dergleichen kann ich mich nicht erinnern. Stattdessen setzte ich ihm sogar noch meine Mütze auf, die ihm schon eher passte und setzte mich dann neben ihn auf die Bank. Er selbst konnte jetzt bequem auf der im Vergleich riesigen Jacke sitzen. „Und, verrätst du mir deinen Namen?“, fragte ich freundlich. Die Antwort war wieder ein Kopfschütteln, aber diesmal eher schüchtern als trotzig. Ich nickte und kurz wurde es still. Ich wusste nicht, was ich jetzt mit diesem wortkargen Jungen machen sollte. Ihn mit in meine Wohnung nehmen? Zur Polizei gehen? Ihn einfach hier lassen? Ich weiß nicht warum, aber mir kam eine ganz andere Idee. „Kennst du Wunderkerzen?“ Sein fragender Blick erübrigte eine Antwort. Ich kenne auch heute nicht viele Kinder, die keine Wunderkerzen kennen, aber mir sind keine bekannt, die sie nicht lieben. Vorsichtig griff ich in seine – meine – Jackentasche und holte das kleine Paket heraus, zusammen mit einem Feuerzeug. Mit einem sanften Lächeln drückte ich dem Jungen eines dieser Stäbchen in die kleine Hand, die unheimlich blass neben meiner vor Kälte so roten aussah. Vorsichtig zündete ich es an. Im nächsten Augenblick zuckte er vor Überraschung zusammen und ließ es in den Schnee fallen. Verängstigt presste er die Hand an seine Brust, aber ich schüttelte nur lächelnd den Kopf. „Alles gut, keine Sorge.“ Diesmal behielt ich die Wunderkerze in der Hand, als ich sie anzündete. Goldrote Funken sprühten hervor und tauchten den Schnee in ein warmes Licht. Ich brauche ein kleines bisschen, um den verschreckten kleinen Kerl dazu zu bringen, seine Faust um die Minifackel zu pressen, aber als er sie dann endlich festhielt, war er begeistert. Seine Augen leuchteten in dem gelben Licht und ich sah ihn zum ersten Mal lächeln. In stiller Begeisterung blickte er in den scheinbar magischen Schein der kleinen Flamme. Ich erinnere mich … mit einem Male kam ich mir so vor, als wären wir zwei die einzigen Lebewesen auf dieser Welt, ich und dieses scheinbar namenlose Kind. Wie als wären die Laterne und die Wunderkerze die einzigen Lichter und der Park der einzige Ort auf der gesamten Erde. Und mir wurde unglaublich warm ums Herz, als ich den kleinen Jungen lächeln sah. Das Lächeln eines kleinen Kindes, was sich über ein kleines Geschenk freut. Ob es nun zuhause bei seinen Eltern oder auf einer Bank im verschneiten Park sitzt … Ob es eine gefühlte Sekunde oder eine Ewigkeit dauerte, weiß ich nicht, aber dann ging die Flamme des Stäbchens aus. Augenblicklich wich der Ausdruck der Freude auf seinem Gesicht zuerst Überraschung und dann tiefster Bestürzung. Verzweifelt hielt er mir die Wunderkerze hin, ob ich sie nicht wieder anzünden könne. Ich konnte die Betroffenheit des kleinen Jungen nicht lange ertragen und zog eine weitere Wunderkerze hervor, zündete sie an und reichte sie ihm. Diesmal stand er auf und fing an, ein wenig hin und her zu tanzen. Mir kam eine Idee und ich winkte ihn her. An der glühenden Spitze der einen zündete ich zwei weitere an, von denen eine ich selbst nahm und eine andere ebenfalls ihm reichte. So sprang und tanzte er, eine leuchtende Stange in jeder Hand, begeistert hin und her. Lächelnd sah ich ihm zu. Als das eine Lichtchen ausging versuchte er es mit dem anderen wieder anzuzünden, wurde jedoch sichtlich enttäuscht, als es nicht funktionierte. Verwundert blickte er mich an, als plötzlich auch das andere erlosch. Wieder gab ich ihm eine neue Wunderkerze. „Die kann man nur einmal benutzen.“ Ich bin mir nicht, ob er den Sinn dieser Worte verstand, doch er freute sich über das neue Stäbchen, wenn er sich jetzt auch etwas vorsichtiger bewegte. Trotzdem fing er wieder an zu tanzen – und ich begann zu summen. Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, ich weiß auch nicht mehr, was ich summte. Ich glaube, es war irgendein Weihnachtslied, aber ich bin mir nicht sicher. Aber das sein Tanz passte zu dem Lied – oder eher das Lied zu dem Tanz. Und dann begann er zu singen. Es war die gleiche Melodie, wenn auch auf keinen Fall der Text dazu. Der Kleine sang mit seiner hellen Kinderstimme in irgendeiner Sprache, die ich nicht verstand, vielleicht war sie auch ausgedacht. Wie lange ich da saß, ihm beim Tanzen zusah und summte, bin ich mir nicht sicher. Hin und wieder gingen seine Wunderkerzen aus und ich gab ihm neue. Die ganze Zeit strahlte er vor Freude. Und auch mir war warm ums Herz im Angesicht dieser Sorglosigkeit. Aber auch das schönste Glück geht einmal zu Ende. Die Packung leerte und leerte sich und irgendwann reichte ich ihm das letzte Leuchtstäbchen. Seltsam, dass er bis zum Schluss sang. Er hatte sicherlich bemerkt, wie die die Zahl der Wunderkerzen sich ihrem Ende neigte. Mit den letzten Funken des kleinen Lichtes verebbte auch seine Stimme. Traurig blickte er das erloschene Stäbchen an und wandte mir dann in einem letzten Hoffnungsschimmer das Gesicht zu. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Enttäuscht ließ er die Schultern sinken. Lustlos trottete er zur Bank zurück, doch ich stand auf. Ich erinnere mich weiterhin nicht daran, gefroren zu haben, aber wahrscheinlich war dies der Grund. „Lass uns doch ein Stück gehen“, schlug ich vor. Er nickte. Eine kleine Weile lang liefen wir beide schweigend durch die dunkle Nacht den Parkweg entlang, bis ich beschloss, ihn aufzuheitern. „Was hast du denn da gesungen?“, fragte ich, „welche Sprache war das?“ Innerlich hoffte ich endlich auf eine Antwort und ich bekam sie, wenn es auch nur ein knappes Gemurmel war. „Elbisch.“ Ich musste lächeln. „Dann bist du also ein Elb?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich war früher ein Pirat“, berichtete ich leicht amüsiert, „aber einen Elben habe ich noch nie gesehen.“ Verwirrt blieb er stehen. „Was ist denn ein Pirat?“ Mit großen Augen sah er mich an. Ich musste leise Lachen. „Was ein Pirat ist, das weißt du nicht?“ Auf sein verwirrtes Kopfschütteln erklärte ich theatralisch mit ausschweifenden Bewegungen. „Piraten sind die Räuber der Meere! Sie sind frei und stark und machen den ganzen Tag was sie wollen. Manchmal kentern sie Schiffe und rauben Schätze, dann werden sie zu sehr reichen Leuten. Ansonsten faulen sie auf ihrem Schiff herum, spielen Karten, rülpsen und pupsen, halten sich an keine Regeln und folgen niemandem außer ihrem Kapitän!“ Der kleine „Elb“ trat einen Schritt zurück und schien mich mit vollkommen neuen Augen zu sehen. Ich lächelte beruhigend. „Keine Sorge, heute bin ich kein Pirat mehr, sondern eine ganz brave Studentin.“ Er schien immer noch nicht ganz so überzeugt. Trotzdem konnte ich sehen, dass ihm die Fragen auf der Zunge brannten, aber er stellte keine einzige. Während wir weitergingen bemerkte ich, wie seine Gedanken wieder abschweiften. Ich weiß nicht mehr, welchen Weg wir einschlugen, aber da wir die ganze Zeit im Park blieben, müssen wir ein und denselben Weg sicher öfter gegangen sein. Mit der Zeit der Stille schien der Kleine wieder bedrückter zu werden. Ich legte ihm tröstend die Hand auf die Schulter. „Mach dir nichts draus, alles vergeht einmal, auch Wunderkerzen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht alles. Die Jahreszeiten kommen immer wieder. Sie sind für die Ewigkeit verdammt.“ Er sagte das mit einer seltsamen Traurigkeit in der Stimme und irgendwie wurde auch mir damals auf eine unbestimmbare Weise schwer ums Herz. Meine Gedanken verstanden das auch nicht. Der ewige Wechsel der Jahreszeiten … warum sollte ein Kind davon bedrückt werden? Bis heute verstehe ich es nicht. „Ja, Frühling, Sommer, Herbst und Winter kommen immer wieder, aber sie sind jedes Mal anders. Nie erlebt man den gleichen Frühling wie im Jahr davor, nie den gleichen Winter. Sie sind einzigartig und deshalb auch nicht ewig.“ Ich weiß nicht, weshalb ich genau das sagte. Es war aus einem Gefühl heraus. Unentschlossen öffnete mein kleiner Freund den Mund um zu antworten, klappte ihn aber wieder zu, wieder auf, zu, auf, bis er eine Antwort gefunden hatte. „Das … meine ich nicht“, versuchte er bedrückt zu erklären, „Es … es wiederholt sich immer und immer weiter. Es findet nie ein Ende. Nie!“ Ich bin mir heute noch nicht sicher, ob ihn richtig verstand, aber damals antwortete ich scheinbar das Richtige. „Das ist doch gut. Ein Leben ist zu kurz um sich ständig neu zu gewöhnen, einige Dinge müssen bleiben. Die Jahreszeiten sind natürlich und schön, man freut sich immer wieder darauf, wenn sie wiederkehren. Sei doch froh, dass ihnen die Ewigkeit geschenkt ist. Es ist kein Fluch, sondern ein Geschenk.“ Ich erinnere mich noch genau an diese Worte, die ich sagte, denn sie verwunderten mich, kaum als sie meine Lippen verließen. Der kleine Elb dagegen versank kurz darauf in tiefe Grübelei. Und wieder herrschte eine Stille. Ich weiß nicht mehr, ob es wenige Sekunden oder eine halbe Stunde war, bis er den Kopf hob und lächelte. „Du hast recht, ein Geschenk!“ Dann sagte er nichts mehr. Wir gingen noch eine Weile mit knirschenden Schritten durch Park. Er war glücklich, das spürte ich. Trotzdem sind wir nicht ewig gelaufen. Irgendwann blieb ich stehen, es war an der Abzweigung zurück zu meiner Wohnung, und hockte mich hin, um ihm in die Augen schauen zu können. Es war wohl sehr spät geworden, oder aber ich hatte gefroren. „Ich muss jetzt Heim und was tust du?“ Der kleine Kerl wurde wieder traurig, aber diesmal schien er es zu akzeptieren. „Ich gehe dann auch nachhause.“ „Viel Glück.“ Dann lief er davon. Er hatte im Übrigen auch immer noch meine Winterjacke und Mütze auf, welche ich nie wieder sah, genauso wenig wie den Jungen selbst. Häufig habe ich später im Park auf eben derselben Bank gesessen und gewartet, doch nie wieder tauchte er auf. Ob er nun ein Elb war oder nicht, fand ich nie heraus. Wer weiß, vielleicht war er wirklich eines dieser magischen, unsterblichen Wesen, das würde seine Traurigkeit erklären, aber ich habe bis heute keine Ahnung. Ich wandte mich zum Gehen, als ich noch einmal stehen blieb und dem schon fast verschwunden Jungen einen letzten Gruß hinterher rief.